Fast zwei Jahre ging Aaron zu einem Anbieter für Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung in Siegen, doch leider haben sich weder seine Noten verbessert, noch verstand er den Schulstoff besser oder schneller. Unser Blick hinter die Kulissen zeigte, dass der selbsternannte Nachhilfelehrer selber noch Schüler einer Realschule in Klasse 10 war, und über eine der diversen Online-Nachhilfevermittlungsplattformen vermittelt wurde, die bedauerlicherweise im Rahmen ihres Angebotes für Nachhilfelehrer keine Altersbeschränkungen vorschreiben! Glücklicherweise besucht Aaron heutzutage eine professionelle Nachhilfeschule mit qualifiziertem Nachhilfe-Personal und dieser Wechsel hat sich für den jungen Mann längst ausgezahlt, denn es geht deutlich bergauf in der Schule!
Nachhilfelehrer, Nachhilfe-Coach oder Pädagoge für Nachhilfeunterricht sind in Deutschland nicht geschützte Begriffe, was dazu führt, dass sich quasi jeder so nennen darf. In erster Linie besteht das Aufgabenfeld darin, schulischen Lernstoff zu vermitteln, mögliche Wissensdefizite zu identifizieren und zu beseitigen sowie das generelle Betreuen und Hilfe von/bei Hausaufgaben. Daraus ergibt sich, dass jede Nachhilfekraft zunächst einmal über eine hervorragende fachliche Expertise verfügen muss, in Deutschland sein Fachwissen jedoch nicht in Form eines bestimmten Abschlusses nachweisen muss. Seriöse und verantwortungsvolle Anbieter von Nachhilfe setzen hier – je nach Klassenstufe und Fach – jedoch meist auf Studenten des Lehramts höherer Semester oder auf Studiengänge, die eine hohe fachliche Nähe zum angebotenen Unterrichtsfach aufweisen, wie z. B. Kommunikation und Sprache für Deutsch bzw. Englisch oder Maschinenbau für Mathematik. Für grundsätzlich fachlich geeignet halten wir auch Abiturienten, die auf den Studienbeginn warten oder eine berufstätige Fremdsprachenkorrespondentin, die nebenberuflich Nachhilfe erteilt. Für uns wichtig erscheint jedoch der Punkt, dass die Person den aktuellen Schulstoff bzw. die entsprechenden Schwerpunktthemen kennen und beherrschen sollte, sich also nicht zu weit weg von den eigentlichen Schulthemen und -inhalten sowie aktuellen Erklärungsmethoden der Schulen bewegen sollte.
Daraus ergibt sich jedoch noch eine zweite Forderung, nämlich, dass nur derjenige Schulstoff verständlich, individuell und am Ende des Tages wirkungsvoll transportieren kann, der pädagogisch und methodisch dazu in der Lage ist. Nimmt ein Schüler Nachhilfe, so braucht er Unterstützung in einem bestimmten Fach und niemanden, der ihm den Lernstoff wie in der Schule noch einmal genau so „vorkaut“, sondern variantenreich und flexibel erklärt. Mit anderen Worten: der fachlich perfekte Nachhilfe-Tutor, der jedoch pädagogisch-methodisch große Schwächen hat, ist leider nicht geeignet und in der Lage, dem Schüler wirklich zu helfen – ein in der Praxis leider immer wieder zu beobachtender Fall. Nur, wer sich in seiner Methodik und Didaktik an die konkreten Bedürfnisse des Schülers mit seinen ganz individuellen Stärken und Schwächen anpassen kann, wird vom Schüler auch verstanden werden und mit diesem langfristig auch Erfolge erzielen. Nach einer Haag-Studie unterscheidet sich übrigens in Puncto Notenverbesserung als ein zentrales Bewertungskriterium der erreichte Nachhilfeerfolg durch den Einsatz eines „echten Schullehrers“ nicht von dem eines Nachhilfelehres im o. g. Sinne (Vgl. Doris Streber, Ludwig Haag und Thomas Götz, 2011, S. 342).
In unserer täglichen Arbeit sehen wir immer wieder wie wichtig es ist, sich immer wieder von sich selbst zu lösen und in die jeweiligen Gedankengänge des Schülers hineinzuversetzen, um ihn und seine Verständnisschwierigkeiten noch besser und gründlicher zu verstehen – auch ein Punkt, der in der Schule natürlich viel zu kurz kommt, obwohl auch fachlicher Sicht der Lehrer erst dann zum nächsten Thema übergehen dürfte, wenn er sichergestellt hat, dass alle den Stoff auch wirklich verstanden haben. Oftmals fehlt es den Schülern auch an globalen Lernstrategien und das Verstehen einfacher Lerntechniken, die dann jedoch nichts mit dem eigentlichen Fach zu tun haben, sondern zu einem generellen Versagen führen können und vom Nachhilfelehrer demonstriert werden müssen (don´t test – teach!). Hier identifizieren wir unter den Kindern auch unterschiedliche Lerntypen, denen man dann – auch unter Hinzuziehung der verschiedenen Lernformate – in der Lage sein sollte, optimale Unterstützung zu bieten.
Nachhilfelehrer und -schüler sollten von Anfang an ein echtes Vertrauensverhältnis zwischen einander aufbauen, auf dessen Basis der Schüler jederzeit und völlig ohne Angst zur Not die selben Fragen auch ganz oft stellen kann, bis diese geduldig, wertschätzend und einfühlsam beantwortet werden. Diese psychologische Fähigkeit, andere Menschen aufbauen und stärken zu können, spielt beim Thema schulisches Lernen eine große Rolle, denn ganz oft sind Kinder, die in der Schule fachliche Defizite haben, im emotional-motivationalen Bereich auch sehr angeschlagen. Ein sehr guter Nachhilfe-Lehrer schafft es auch, das Elternhaus als positiven Verstärker zu nutzen und davon zu überzeugen, ebenfalls unterstützend und motivierend auf den Schützling einzuwirken.
Abschließend möchten wir gerne den Wunsch vieler Eltern, nicht an die „schwarzen Schafe“ unter den Nachhilfelehrern zu geraten dadurch unterstützen, von den folgenden zusätzlichen Kriterien Gebrauch zu machen: Abgesehen von der fachlichen Expertise des Lehrers im oben beschrieben Sinne und auch seiner nachweislichen Erfahrung im Nachhilfe-Sektor („Nennen Sie mir bitte eine Familie als Referenz, die ich anrufen darf, um zu hören, wie Sie gearbeitet haben…“) und den subjektiven persönlichen Faktoren wie „sympathische, freundliche, seriöse Erscheinung“ spielen der Erwerb von objektiven Qualitätsstandards, so zum Beispiel durch eine erfolgreich absolvierte Ausbildung zum geprüften/zertifizierten Nachhilfelehrer bei Tutorwatch oder IFLW für uns und gerade im privaten Nachhilfesektor eine wichtige und vertrauensschaffende Rolle. Große Nachhilfeinstitute prüfen die Qualität ihrer Nachhilfekräfte auch durch spezielle Einarbeitungsprogramme und anschließende Testungen, um die Qualität der Nachhilfelehrer jederzeit sicherzustellen. Ein weiteres Instrument ist das offizielle Melden der Lehrkräfte bei der jeweiligen Bezirksregierung mit entsprechender Prüfung der Unterlagen und anschließenden Autorisierung durch die Schulbehörde. Auch das Verlangen einwandfreier polizeilicher Führungszeugnisse rundet das Gesamtpaket an Glaubwürdigkeit und Qualifizierung der dort tätigen Nachhilfelehrer.
Im Beitrag verwendete Fachliteratur
Doris Streber, Ludwig Haag und Thomas Götz, Empirische Pädagogik 2011, S. 342-357, Zeitschrift zu Theorie und Praxis erziehungswissenschaftlicher Forschung, Bayreuth