Ist Förderunterricht in der Schule sinnvoll oder nicht?

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Lerntherapeutin

Jeder Schüler hat ein Recht auf individuelle schulische Förderung. Dabei versteht man allgemein unter schulinterner Förderung eine gezielte, individuell auf den Schüler zugeschnittene Form der Unterstützung. Hierbei hat man vor allem Kinder mit besonderem Förderbedarf im Blick, wie z. B. Lernschwierigkeiten bzw. Lernstörungen im Fach Mathematik (Rechenschwäche) oder Deutsch (LRS) und/oder Kinder mit Migrationshintergrund bzw. aus sozial benachteiligten Lagen. Auf Kinder sowie Jugendliche mit einer Hochbegabung soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Wichtig ist zu wissen, dass neben interindividuellen Unterschieden (beispielsweise gute und schwache Leser) man auch intraindividuelle Unterschiede innerhalb einer einzelnen Person beachten müsste, um den persönlichen Stärken und Schwächen eines Menschen tatsächlich auch Rechnung tragen zu können.

Aber wie genau läuft die Förderung in der Schule im Allgemeinen nun ab?

Grundsätzlich gibt es viele Schulen, die eine individuelle Förderung mittels zusätzlicher, zum allgemeinen Unterricht stattfindenden Förderkursen anstreben. Allerdings sind nur wenige Schulen in der Lage, Fördereinheiten in den Unterricht zu integrieren, in denen die Schüler dann mit zusätzlichen, auf sie individuell abgestimmte Lernhilfen bzw. Fördermaterialien im Regelunterricht gefördert werden (sog. innerer Differenzierung).

Zunächst gilt es jedoch überhaupt einmal diejenigen Schüler zu identifizieren, die einen (deutlichen) Förderbedarf im Lesen, Schreiben oder Rechnen aufweisen, und dies erweist sich in der Praxis oft als sehr diffizil, denn aufgrund der viel beachteten PISA-Studien wird evident, dass Lehrer bei ihren Schülern – und dies sogar am Ende der Pflichtschulzeit – kaum in der Lage sind, z. B. die Lesekompetenz, besonders von schlechten Lesern, zutreffend zu identifizieren. Nach einer weiteren Studie von Professor Albert Schabmann werden über 80% an lese-rechtschreibschwachen Kindern im Unterricht von ihren Lehrern gar nicht erkannt, sondern dies ganz allein aufgrund der nachträglich durchgeführten wissenschaftlichen LRS-Testung. Damit wird besonders deutlich, dass gerade bei der Feststellung des individuellen Förderbedarfs ein enormer Handlungsdruck auf Seiten der Lehrerschaft besteht, denn wie wir alle wissen, ist die Basis einer jeden Fördermaßnahme eine zuvor durchgeführte, passgenaue Diagnostik, so zumindest die Theorie.

Weiterhin besteht die allgemeine Forderung, dass im schulinternen Förderunterricht individuelle Lerndefizite gezielt angegangen werden sollen und dies durch ein sehr systematisches, strukturiertes, kleinschrittiges und lehrkraftzentriertes Vorgehen. Deutlich wird, dass in diesem Kontext der Förderlehrer eine zentrale Rolle spielt, der eine aktive Beseitigung der der bestehenden Lerndefizite und Lernschwierigkeiten anstrebt.

Wie sieht die Praxis aus am Beispiel der Schilderungen besorgter Eltern über schulische Förderkurse für LRS?

Auf den ersten Blick und wie oben beschrieben, sehen die Regelungen zum Förderunterricht von Kindern mit einer Lernstörung wie Legasthenie an Schulen (in NRW) recht gut aus, denn sehr viele Schulen bieten doch Förderkurse an. Das gute Gefühl, dass dort den lernschwachen Kindern tatsächlich geholfen wird, hält leider einer intensiven Prüfung nicht Stand und bei genauerem Hinschauen wandelt sich das scheinbar beruhigende Bild fast ins bloße Gegenteil! Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass aus lerntherapeutischer Sicht auch wir zu leider keinem anderen Ergebnis kommen, wie es analog auch der Großteil der von uns befragten Eltern tut.

Problemkreis Nr. 1: Laut befragter Eltern umfassen die sog. LRS-Förderkurse teilweise 15 oder 25 Schüler, für die ein Förderlehrer und eine Studentin, die zufällig gerade ihr Praxissemester an der Schule abhält, zuständig sind. Es wird unmittelbar deutlich, dass viel zu wenig Lehrkräfte für viel zu viele Schüler verantwortlich sind. Eine individuelle und vor allem effiziente Förderung ist hier natürlich unmöglich, denkt man etwa im Vergleich an außerschulische Angebote von lerntherapeutischen Praxen, die Kinder im Einzelunterricht oder maximal zwei Schülern intensiv fördern können. Dies ist ein generelles Problem der Schulen, die aufgrund mangelndem Budget leider nicht in der Lage sind, sich von außen externen Lerntherapeuten bedienen zu können.

Problemkreis Nr. 2: Sehr oft findet man in diesen Förderkursen Kinder mit ganz unterschiedlichen Problembereichen: einige Kinder haben starke Problem beim genauen Lesen, andere wiederum bei der Groß- und Kleinschreibung, wieder andere bei der Lesegeschwindigkeit oder beim Sprach- bzw. Wortverständnis oder Defizite im Rahmen der Phonologie. Es entsteht der Eindruck einer bunt zusammengewürfelten Fördergruppe abgesehen davon, dass die Gruppen auch nicht altershomogen sind, da Schüler verschiedener Klassenstufen an dieser teilnehmen.

Problemkreis Nr. 3: Aufgrund der Größe ist die in der Theorie geforderte Individualität, Kleinschrittigkeit, Strukturiertheit und Lehrerzentriertheit fast ausgeschlossen. In der Not werden Untergruppen gebildet, die scheinbar möglichst homogen zusammengesetzt werden. Problem dabei ist, eine auf jeden Schüler abgestimmte und zugeschnittene Fördermaßnahme durchzuführen. Aus diesem Grund bearbeiten dann die Kinder in der Gruppe gemeinsam Aufgaben, die jedoch ihrem persönlichen Fähigkeits- und Fertigkeitsstand absolut nicht entsprechen müssen. Der Förderlehrer springt dann von Gruppe zu Gruppe und man kann sich leicht ausrechnen, wie viel effektive Zeit der Förderkraft verbleibt, direkte Instruktionen an jeden einzelnen Förderschüler zu erteilen. Rein inhaltlich werden oft Themen der Schulstunde und damit ein reines Wiederholen des Stoffes praktiziert, was keinesfalls einer wirkungsvollen Förderung entspricht, sondern bestenfalls eine reine Lernzeitverlängerung darstellt. Die individuellen Ursachen der Lerndefizite jedes einzelnen Schülers wird hierbei leider nicht Rechnung getragen.

Problemkreis Nr. 4: Oftmals kommen Kinder viel zu spät in Förderkurse, da ihre Defizite durch das Fehlen einer systematischen, regelmäßigen Überprüfung einfach nicht rechtzeitig (oder gar nicht) entdeckt werden. Gerade Probleme beim Lesen und Schreiben werden erst dann erkannt, wenn diese schon längerfristig aufgetreten sind und zu gravierenden, verfestigten Lernrückständen beim Schüler geführt haben. Auch zu uns kommen Kinder in Klasse 3, die aufgrund ihres Wissenstandes besser Mitte Klasse 1 zu uns gekommen wären.

Problemkreis Nr. 5: Förderstunden werden oft nach dem allgemeinen Unterricht erteilt, zum Beispiel freitags in der letzten Stunde. Andere wiederum sogar morgens vor Unterrichtsbeginn. In beiden Fällen empfinden involvierte Schüler diese ungünstigen Zeiten als zusätzliche Belastung und kommen dann bereits demotiviert und lustlos zu der Lernhilfe. Hier sollte unserer Meinung nach verstärkt daran gearbeitet werden, Förderstunden in den normalen Zeitplan zu integrieren, anstatt ganz ans Ende oder an den Anfang.

Problemkreis Nr. 6: Unsere Erfahrung zeigt, dass Schüler, die den Förderunterricht besuchen, sich als „Mensch zweiter Klasse“ fühlen und sich von den anderen als ausgegrenzt und abgewertet betrachten. Außerdem bemängeln sie oft, dass auf ihre Probleme mangels Zeit und Gruppenstärke nicht eingegangen wird und fragen sich, was die Förderung ihnen persönlich überhaupt bringt. Anstatt eine positive Lernstruktur zu entwickeln, wird genau das Gegenteil erreicht. Statt Stabilität im psychischen (ich kann was, ich traue mir etwas zu) und auch im Leistungsbereich (ich habe verstanden, warum man Auto am Anfang des Wortes mit einem großen A schreibt) zu generieren, verpuffen die gut gemeinten, aber schlecht gemachten Förderkurse in ihrer Wirkung fast vollständig.

Problemkreis Nr. 7: Häufig besitzen Lehrpersonen, die die Förderkurse abhalten, keine spezifische Ausbildung in den verschiedenen Bereichen von Lernstörungen. Manchmal sind die Inhalte ihrer damals absolvierten  Fortbildungen heutzutage wissenschaftlich schon längst widerlegt bzw. zu großen Teilen nicht mehr haltbar. Als Beispiel dient hier ein gerne in der Schule eingesetztes Förderprogramm, das jedoch in seiner Wirksamkeit als unwirksam und von der Fachwissenschaft sogar kontraproduktiv eingestuft wird: Die immer noch weit verbreitete „Rechtschreibwerkstatt“ von Sommer-Stumpenhorst (Schreiben nach Gehör)! Laut Studie machen Kinder, die dieses Förderprogramm durchlaufen haben, 105% mehr Fehler zum Ende der Klasse 4, als Schüler, die z. B. mittels evidenzbasierten Programmen unterstützt wurden. So kommt Professor Sendlmeier aufgrund seiner o. g. Studie zu einem vernichtenden Urteil: „Dem Spracherfahrungsansatz nach Sommer-Stumpenhorst kann leider kein positives Zeugnis ausgestellt werden. Dieser Ansatz ist eher eine Mischung aus unterlassener Hilfeleistung und gezielter Irreführung.“

Abschließend: Wir sind der Meinung, dass schulischer Förderunterricht, will er Kindern und Jugendlichen wirklich wirksam helfen, in Zukunft ganz anders abzulaufen hat, will er nicht zu einem reinen Etikettenschwindel verkommen („Hauptsache, wir bieten da irgendetwas an und haben unsere Schuldigkeit damit getan). Lernschwache Schüler müssen schnellstmöglich identifiziert und individuell gefördert werden. Das kann nur von speziell dafür ausgebildeten Fachkräften geleistet werden, die in möglichst lern- und fachproblemhomogenen Kleingruppen von bis zu 4 Schülern individuell dort abholen, wo sie auch tatsächlich stehen. Die Förderung soll grundlagenorientiert sein; reines Wiederholen des Schulstoffes ist aus unsere Sicht jedoch absolut ungeeignet. Nun ist es an der Politik, endlich die finanziellen Ressourcen für die Schulen bereitzustellen, damit die durch eine Teilleistungsstörung benachteiligten Kinder nicht noch weiter den Spaß am Lernen und der Schule verlieren.

Nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.