Nach Professor Lorenz dürfen sämtliche Fördermaßnahmen im Rahmen einer Therapiestunde bei vorliegender Rechenstörung keinesfalls in der reinen Wiederholung des (bisher nicht verstandenen) Schulstoffs bestehen, sondern müssen sich anderer Mittel und Methoden bedienen, um nachweisbare Lerneffekte beim Schüler zu erzielen. Bei Kindern mit einer Rechenstörung bzw. Dyskalkulie versagt der schulische Regelunterricht meistens, da eine basismathematische Grundlagensicherung auf den „Durchschnittsschüler“ ausgelegt ist, die demnach für Dyskalkuliker zu hoch ansetzt, indem sie Lerninhalte transportiert, für die das Kind jedoch noch kein ausreichendes und automatisiertes basisnumerisches Faktenwissen verfügbar hat. Heute zeigen wir exemplarisch eine speziell auf die Ressourcen, also die Stärken und Schwächen des Kindes abgestimmte Einzelförderung eines rechenschwachen Kindes unter Berücksichtigung seiner psychischen Situation (bereits verfestigte Angst vor dem Fach Mathematik).
Fest steht: In vielen Fällen reduziert sich das Rechnen mit dem „1×1“ auf ein stures und „vokabelartiges“ Auswendiglernen und Abrufen von fertigen Ergebnissen aus den sog. 1×1-Tabellen; das Prinzip, die Logik und die Relation der Multiplikation zu anderen Rechenoperationen wird jedoch nicht oder nicht richtig verstanden. Als Basis-Material zur Erklärung der Multiplikation dient uns in dieser Förderstunde ein Blatt Papier und Bleistift sowie einfache Plastiksteckwürfel (Steckwürfel); der Schülerin Paula befindet sich in Klasse 7 einer Realschule.
Lerntherapeutin: „Paula, heute reden wir über die Multiplikation, also die Mal-Aufgaben. Vor dir liegen die dir wohl bekannten Stecksteine und du bist bitte so lieb und legst mit den die Malaufgabe 5 · 4 legen?“
Paula: „Also, 5 · 4 ist 20!“ Ist doch ganz einfach!“
Lerntherapeutin: „Prima, das Ergebnis ist vollkommen richtig und das hast du sehr gut gemacht! Kannst du das Ergebnis mir auch mit Hilfe der Stecksteine auf den Tisch vor dich legen oder aber die Aufgabe 5 · 4 mit Hilfe der Stecksteinchen zeigen?“
Paula legt folgendes „Steckstein-Bild“ vor sich auf den Tisch:
X X X X X
X X X X
Lerntherapeutin: „Danke, Paula. Die beiden Reihen mit den oben 5 und unten 4 Stecksteinen bedeutet also für dich die Mal-Aufgabe?“
Paula: „Ja, ganz genau!“
Lerntherapeutin: „Was genau ist dabei 5 · 4?“
Paula: „Ja oben die 5 und darunter die 4“
Lerntherapeutin: „Okey, und wo, liebe Paula, finde ich jetzt das Ergebnis 20, welches du mir ganz am Anfang genannt hast?“
Paula: „Oh, das kann man gar nicht sehen. Hm, ich kann es dir nicht genau sagen, das weiß ich jetzt auch nicht.“
Lerntherapeutin: „Gut, mein Vorschlag wäre, dass ich versuche, dir die Aufgabe zunächst einmal ohne die Stecksteine und mit Hilfe eines kleinen Bildes, einer kleinen Skizze zeigen möchte; ist das ok für dich?“
Paula: „Na klar!“
Die Lerntherapeutin nimmt das Blatt Papier und zeichnet 5 Bäume mit jeweils 4 Birnen daran und fragt: „Paula, sag mir bitte, wie viele Birnen hängen an allen 5 Bäumen zusammen?“
Paula: „Es sind 20 Birnen insgesamt.“
Lerntherapeutin: „Paula, das hört sich gut an, wie bist du jetzt darauf gekommen?“
Paula: “Na das sieht man doch!“
Lerntherapeutin: „Erkläre mir doch bitte mal ganz genau, was du gemacht hast, um auf die Zahl 20 zu kommen, die ja völlig richtig ist, denn es sind zusammen 20 Birnen an 5 verschiedenen Bäumen!“
Paula „Also, ich habe einfach 4 + 4 + 4 + 4 + 4 zusammengezählt, um die 20 zu erhalten. Also habe ich 8 plus 8 gerechnet und dann noch einmal die restlichen 4 addiert und hatte 20.“
Lerntherapeutin: „OK, und jetzt musst du mir bitte sagen, was eine Plus-Aufgabe mit einer Mal-Aufgabe zu tun hat, denn du hast ja alle Birnen addiert, um auf insgesamt 20 Birnen zu kommen.“
Paula: „Das weiß ich nicht so genau!“
Die Lerntherapeutin zeichnet fünf Bäume auf das Blatt Papier und legt nun händisch jeweils vier Stecksteine als Birnen an jeden Baum und fragt Paula: „Kannst du dir vorstellen, dass die jeweils vier Stecksteine pro Baum jeweils 4 Birnen sein sollen?“
Paula: „Ja, das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen.“
Lerntherapeutin: „Hier sind fünf Bäume. Gib mir bitte von Baum eins alle 4 Birnen bzw. Stecksteine.”
Paula nimmt vom ersten Bau alle vier Stecksteine weg und legt diese in einer Reihe geordnet und ordentlich vor die Lerntherapeutin hin.
Lerntherapeutin: „Super, Paula, jetzt gib mir bitte vom zweiten Baum ebenfalls die vier Stecksteine/Birnen und bilde eine zweite Reihe neben der ersten.”
Paula legt weitere vier Birnen wie beim ersten Mal vor die LT und genau neben die erste Reihe.
Lerntherapeutin: „So, nun tust du das Gleiche und gibst mir bitte vom Baum drei alle Birnen und legst sie auch wieder neben die zweite Reihe zu den bereits gelegten.”
Und wieder legt Paula weitere vier Birnen genau vor die Lerntherapeutin an den bestimmten Platz. Dies tut sie noch zwei weitere Male und am Ende sind alle fünf Bäume quasi leer und ohne Birnen daran.
Lerntherapeutin: „So Paula, und wie viele Birnen sind es jetzt zusammen, die vor mir liegen und wie hast du gemacht?“
Paula: „Es sind zusammen 20 Birnen und ich habe ich habe immer 5 Birnen vor dich gelegt, bis ich alle Birnen von den fünf Bäumen abgehängt habe.“
Lerntherapeutin: „Ganz genau, und überleg doch mal bitte, welche Rechenaufgabe passt genau zu deiner Handlung?“
Paula: „4 + 4 + 4 + 4 + 4 = 20“
Lerntherapeutin: „Exakt, und wie oft hast du mir fünf gegeben, also anders gefragt: wie viele Male hast du mir immer jeweils fünf Birnen gegeben?“
Paula: „Fünfmal.“
Lerntherapeutin: „Hast du jetzt vielleicht eine Idee, wie die Malaufgabe lauten könnte?“
Paula: „Ja, 5 · 4, das sind ja zusammen wieder 20.“
Lerntherapeutin: „Wie passt denn das zusammen? Was genau hat das MAL mit dem PLUS zu tun?“
Paula: „Anstatt 4 + 4 + 4 + 4 + 4 kann ich auf ich 5 · 4 schreiben oder sagen.“
Lerntherapeutin: “Sehr gut gemacht, Paula. Hast du vielleicht noch eine Idee, wann wir statt plus mal rechnen, obwohl es mit dem plus auch ginge?“
Paula: „Vielleicht, wenn es immer dieselben Zahlen sind.“
Lerntherapeutin: „Aber was bringt uns das genau?“
Paula: „Das weiß ich auch nicht.“
Lerntherapeutin: „Paula, du kannst doch die meisten 1×1-Reihen auswendig aufsagen. Der Vorteil ist, dass du bei der Aufgabe 6 · 7 nicht mühsam 7 + 7 + 7 + 7 + 7 + 7 = 42 ausrechnen musst, sondern weißt ganz schnell das Ergebnis und kannst es somit sofort benennen oder aufschreiben. Das spart sehr viel Zeit und dein Gehirn muss nicht immer bei jeder Aufgabe in Höchstleistung bearbeiten, das freut sich nämlich, wenn es nicht so viel rechnen muss.“
Paula: „Toll, dann ist es ja gut, wenn ich möglichst viele 1×1-Reihen auswendig lerne! Dann brauche ich nämlich weniger zu rechnen!“
Lerntherapeutin: „So, zurück zu dem Beispiel mit den Birnen: weißt du, was genau die fünf und was genau die vier zu bedeuten haben?“
Paula: „Also die vier sind die Anzahl der Äpfel, die fünf sind die Bäume!“
Lerntherapeutin: „Ja, das stimmt, aber wofür genau stehen die Bäume? Es könnten ja auch Teller sein oder Körbe! Was glaubst du, was ist mit der 5 im Allgemeinen gemeint? Wofür steht sie, was soll sie zum Ausdruck bringen?“
Paula: „Das weiß ich nicht, leider!“
Die Lerntherapeutin nimmt das Blatt Papier mit den fünf gezeichneten Bäumen darauf und den jeweils vier Birnen und legt es auf den Nachbartisch, sodass man sich von seinem Platz erheben muss, um es zu erreichen.
Lerntherapeutin: „Paula, bitte hole mir einmal vier Birnen und bringe sie mir.“
Paula holt die ersten vier Birnen und legt diese zusammen vor die Lerntherapeutin auf den Tisch.
Lerntherapeutin: „Paula, bitte hole mir ein weiteres Mal vier Birnen und bringe sie zu mir.“
Paula holt erneut die vier Birnen, legt sie ebenfalls vor die Lerntherapeutin und dies insgesamt fünfmal, bis alle 20 Birnen vor der Lerntherapeutin auf dem Tisch liegen.
Lerntherapeutin: „So, ich nehme mit jetzt alle 20 Birnen in meine beiden Hände! Wie oft bist du insgesamt gegangen und wie viele Birnen hast du jedes Mal geholt?
Paula: „Ich bin fünfmal gegangen und habe immer 4 Birnen geholt.”
Lerntherapeutin: „Hast du jetzt vielleicht irgendeine Idee, wofür die fünf und die vier bei der Rechenaufgabe 5 · 4 in unserem Fall stehen?“
Paula: „Ach so, ja, ich bin fünfmal zum Tisch gegangen und habe immer dieselbe Anzahl an Birnen geholt, nämlich immer vier.“
Lerntherapeutin: „Ganz genau, also wofür steht nun die fünf?“
Paula: „Na wie oft ich gegangen bin, nämlich fünfmal!“
Lerntherapeutin: „Hervorragend, das hast du wirklich gut erklärt!“ Und wo oft müsstest du bei der Aufgabe 6 · 7 gehen?“
Paula: „Ja da gehe ich dann sechsmal und bringe immer wieder sieben Birnen mit oder Äpfel oder was die sieben gerade sind,“
Lerntherapeutin: „Perfekt, du hast es verstanden, darüber freue ich mich sehr“
Als nächstes nimmt die Lerntherapeutin das Blatt mit den fünf Bäumen und legt an vier Bäume jeweils vier Stecksteine/Birnen und an den 5ten Baum nur drei.
Lerntherapeutin: „Schau mal, Paula, kannst du mir eine Mal-Aufgabe dazu sagen, wenn ich wissen will, wie viele Birnen wir insgesamt auf allen fünf Bäumen vorfinden?”
Paula: „5 · 4“
Lerntherapeutin: „Ok, gut und wieviel sind „5 · 4?“
Paula: „20“
Lerntherapeutin: „Zählst du bitte mal alle Birnen und nennst mir das Ergebnis?“
Paula: „Da kommt plötzlich 19 heraus – das verstehe ich jetzt nicht.“
Lerntherapeutin: „Bitte hole mir die vier Birnen von Baum eins und dann noch die drei Birnen vom letzten Baum, was fällt dir auf?“
Paula: „Oh, das passt ja nicht!“
Lerntherapeutin: „Warum nicht?“
Paula: „Ja, einmal sind es drei Birnen und einmal vier, es müssen aber immer genau so viele Birnen sein, immer gleich viele, sonst geht das mit dem Malnehmen nicht.“
Lerntherapeutin: „Super, Paula, genau das ist richtig! Bevor wir mit der Förderstunde schließen, bitte ich dich, für mich noch eine Sachaufgabe, also Textaufgabe zu überlegen, bei der die Multiplikation eine Rolle spielt.“
Paula: „Am ZOB in Siegen stehen vier Busse. Vor jedem Bus stehen drei Kinder. Wie viele Kinder stehen insgesamt vor den Bussen?“
Lerntherapeutin: „Können an dem einen Bus auch nur 2 Kinder stehen?“
Paula lacht und erwidert: „Nein, es müssen immer gleich viele Schüler sein, möchte man das als Mal-Aufgabe rechnen. Zusammen sind es übrigens 12 Kinder!“
Lerntherapeutin: „Paula, das hast du wirklich toll erklärt. Jetzt hast du die Multiplikation verstanden. Für zuhause hast du die Aufgabe, deinen Eltern zu erklären, ob eventuell ein Kasten voll mit 18 Sprudelflaschen auch mit einer Malaufgabe erklärt werden könnte und darüber reden wir dann beim nächsten Mal.“